Ein Diabetes-Pen, der den Insulinwert misst und die Daten gleich selbst in die Patientenunterlagen einträgt oder auch ein Bett, das Patienten automatisch bewegt, wenn sie es selbst nicht mehr können - das und andere digitale Produkte sowie zukünftige Entwicklungen in der Pflege konnten die Teilnehmer der Konferenz Zukunft der Pflege im Evangelischen Johannesstift kennenlernen. Ausgerichtet wurde die Veranstaltung im September von der Johannesstift Altenhilfe und gestaltet vom Pflegepraxiszentrum Berlin.
Wissenschaftler, Techniker, Experten aus der Pflegepraxis, von Krankenkassen und aus der Wirtschaft kamen hier zusammen, um sich über Zukunftsperspektiven und Möglichkeiten in Bezug auf Pflege und Technik auszutauschen: „Wir haben hier die Chance, mit Akteuren mit unterschiedlichen Erfahrungshintergrund zu diskutieren und neue Perspektiven zu entwickeln,“ sagte Andreas Arentzen, Vorstand der Johannesstift Diakonie, in seiner Begrüßungsrede. Nur gemeinsam ist es möglich, technische Lösungen so zu entwickeln, dass sie von Pflegenden im Arbeitsalltag auch angenommen werden. “Dabei muss der Mensch stets im Mittelpunkt stehen”, sagte Andreas Arentzen weiter. Wichtig ist das vor allem, weil es aufgrund der Bevölkerungsentwicklung immer mehr Pflegebedürftige und immer weniger Pflegekräfte gibt.
Zukunftsforscher Prof. Dr. Eckard Minx, der zur Konferenzeröffnung sprach, verdeutlichte, wie schnell sich der digitale Wandel im Alltag vieler Menschen inzwischen vollzieht. So dauerte es zum Beispiel beim Telefon noch 75 Jahre bis 100 Millionen Nutzer erreicht wurden, beim Mobiltelefon 16 Jahre und bei Social-Media-Apps nur noch zwei Jahre. „Auf die enorme Schnelligkeit müssen wir vorbereitet sein“, sagte er, „und uns die Digitalisierung zunutze machen.” Seine Empfehlung ist, die Art und Weise des Lernens neu zu organisieren und Wissen zusammenzuführen. Für Unternehmen heißt das, um auch in Zukunft bestehen zu können: kontinuierliches Lernen, die Fähigkeit sich zu verändern und die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche.
Doch was bringt die Technik der Pflege in Zukunft? Die Konferenz gab eine Ahnung davon. Tobias Kley, Projektleiter Innovation und Technik, hat die Konferenz mitorganisiert: “Angemeldet haben sich Referenten und Aussteller aus ganz verschiedenen Fachgebieten, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben - sei es bei der Sensortechnik, medizinische Hilfsmittel, Pflegewissenschaften bis hin zur Haus- und Sicherheitstechnik.” Diese Vielfalt braucht es auch. Die Situation Pflegebedürftiger ist individuell unterschiedlich und umfasst oft eine lange Zeitspanne. Damit gute Pflege durch Angehörige und Pflegekräfte auch in Zukunft gelingen kann, sind neben menschlicher Zuwendung auch digitale Technik und Roboter, die Arbeit erleichtern und abnehmen. Dienstleistungen aus dem Internet und Ehrenamt können dabei ergänzende Bausteine sein. Auch ermöglicht digitale Technik Pflegebedürftigen länger im eigenen Zuhause zu wohnen und am sozialen Leben teilzuhaben.
Eine weitere Frage, die in Vorträgen oft gestellt wurde: Kann eine Maschine eine Pflegekraft ersetzen? Die Antwort darauf: Das wohl nicht, jedoch kann digitale Technik helfen. Sie kann ein Mittel sein, um die Pflege zu erleichtern und zu unterstützen. Eine Beziehung von Mensch zu Mensch wird sie jedoch nie ersetzen können. “Zum Beispiel kann ein Pflegebett, das einen Heimbewohner mit Dekubitusrisiko bei Bedarf leicht wendet, eine Erleichterung sein”, sagt Melanie Kruse, Qualitätsmanagerin und selbst gelernte Pflegefachkraft. Dekubitus sind schmerzhafte Wunden, die entstehen, wenn Menschen lange im Bett liegen, da sie nicht mehr aufstehen können. Besonders hilfreich sind moderne Pflegebetten, wenn sie über feinsinnige Sensoren messen, wann ein Bewohner schläft und er dadurch nicht geweckt werden muss. Auch das automatische Einlesen der gemessenen Daten, etwa bei der Gewichtserfassung, erspart der Pflegekraft zeitraubendes Hin- und Herlaufen.
Aline Klett
Die Pflegepraxiszentren sind die erste bundesweite durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Plattform, auf der Akteure aus Praxis mit Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammenkommen, um die Technik zum Menschen und damit in die Pflege zu bringen. Zentral dabei ist ein offener Austausch mit Pflegekräften und Angehörigen, damit Technologien so auch im Pflegealltag ankommen.
Mehr dazu unter pflegepraxiszentrum-berlin.de
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat 2018 den Cluster Zukunft der Pflege gestartet. Ziel ist, neue Pflegetechnologien an mehreren Orten in Deutschland erlebbar zu machen. Dazu werden das Pflegeinnovationszentrum (PIZ) und die vier Pflegepraxiszentren (PPZ) im Cluster „Zukunft der Pflege“ zusammengeführt. In den PPZ werden verschiedene innovative Pflegetechnologien im Pflegealltag eingesetzt und auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft und ausgewertet.
Erfahren Sie mehr über die Pflegepraxiszentren und das Pflegeinnovationszentrum:
Die Abstracts der Vorträge haben wir in einem Band für Sie zum Download bereit gestellt.
Das Assistenzsystem synoSense Care gewinnt den Innovationswettbewerb auf der 2. Clusterkonferenz Zukunft der Pflege am 17. September in Berlin. Dem voraus ging eine Auswahl durch den Expertenrat des Pflegepraxiszentrums (PPZ) Berlin und ein live-Publikumsvoting auf der Konferenz.
synoSense Care ist ein ganzheitliches Assistenzsystem, das Gefahrensituationen im Raum wie den Sturz eines Menschen erkennen kann, und dabei die Privatsphäre des Einzelnen nicht aus dem Blick verliert. Dafür werden Lösungen aus dem Bereich des maschinellen Lernens verwendet - intelligente Programme also, die aus Daten lernen und das Gelernte zu eigenen Regeln verarbeiten. Nach dem gleichen Prinzip arbeitet beispielsweise die Spracherkennung von Google und Co. Die hochauflösende Sensorik von synoSense Care nimmt die Bilder des Menschen im Raum auf, wandelt diese sofort, an Ort und Stelle, in anonymisierte Metadaten um und übermittelt diese an das Hausnotrufsystem. Bildaufzeichnungen verlassen somit nicht das System und können nicht anderweitig genutzt werden.
Der Expertenbeirat des PPZ Berlin, bestehend aus ehrenamtlichen Experten aus Politik, Verwaltung, Verbänden, Forschung und Kassen, wählte aus 17 Einreichungen sechs Unternehmen aus, die ihre Lösungen auf der Bühne vor den Gästen der Clusterkonferenz präsentieren durften. Aus der Präsentation wählte das Publikum per Onlinevoting synoSense Care der Firma Syno-IQ als Sieger aus. Der Preis, die Teilnahme am Pflegetag 2020 in Berlin, wurde überreicht von Mario Czaja, einem der Geschäftsführer der Brückenköpfe, die innovative Unternehmen und Ideen im Bereich Health-IT fördern.
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging Felix Plum von Syno-IQ, der den Preis auch entgegen nahm, auf seine Motivation und die seiner Kollegen ein: "Einige Mitglieder unseres Teams haben Angehörige, die sich bei Stürzen starke Verletzungen zugezogen haben und die von einem Assistenzsystemen profitiert hätten." Ein Austausch der Mitarbeiter mit Pflegeeinrichtungen und Technikherstellern über gängige Assistenzsysteme ergab, dass viele dieser Systeme durch niedrigauflösende Sensorik oft Fehlalarme auslösen. Auch der Datenschutz wurde vielfach als Problem gesehen.
Hinter Syno-IQ steht ein sechsköpfiges Team, bestehend aus Entwicklern der Bereiche Informatik und Technische Kybernetik sowie Geschäftsführern aus den Bereichen Automotive und SAP-Softwareentwicklung. Der Fokus des noch jungen Unternehmens liegt auf eingebetteten Lösungen zur Bildverarbeitung in öffentlichen Räumen. Die Herausforderungen, die sich hier stellen, sind die besonderen Anforderungen an den Datenschutz. "Wir setzten dabei auf eine Vor-Ort-Verarbeitung der Daten. Möglich und praktikabel ist das aufgrund der Rechenkapazität tatsächlich erst seit zirka zwei Jahren", sagt Felix Plum.
Auf lange Sicht gesehen, hat das Team noch Einiges vor. Ein Ziel ist, Vorzeigeprojekt zu sein, wenn es um den ethisch korrekten Einsatz von Künstlicher Intelligenz geht. "Je mächtiger die Technologie, wie Situationsanalyse oder Personenerkennung, desto größer ist das Missbrauchspotential, zugleich aber auch der mögliche gesellschaftliche Nutzen", sagt Plum. "Wir wollen dem durch verschiedene Maßnahmen begegnen, etwa durch die lokale Verarbeitung der Bilder und der freiwilligen Prüfung durch externe Gutachter." Auch die Transparenz gegenüber dem Endanwender gehört dazu, beispielsweise durch Infomaterial zur detaillierten Funktionsweise des Systems. Tests in Musterwohnungen sind fürs 2020 angesetzt und der Austausch mit Pflegebedürftigen und Betreibern von Pflegeeinrichtungen, bevor die ersten Geräte marktfähig sind.
Eindrücke der 2. Clusterkonferenz - Zukunft der Pflege